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Der lange Weg zur Zusatzbezeichnung „Phlebologie“

Von Wolfgang Hach


Im Jahre 1992 beschloss die Bundesärztekammer, den Landesärztekammern die Einführung der Zusatzbezeichnung Phlebologie zu empfehlen. In Hessen wurde diese Empfehlung 3 Jahre später, also 1995, in Berufsrecht umgesetzt. Entsprechendes galt für die Teilgebietsbezeichnung Angiologie.



Gedanken zur Strukturierung der Gefäßmedizin anno 1974
Wenn wir heute über die Bedeutung der Spezialisierung in den einzelnen Sparten der Gefäßmedizin sprechen, dann erfolgt das natürlich mit anderen Augen als in den 80iger Jahren. Schon 1974 stellte der damalige Schriftleiter der VASA H.J. Leu in einem Editorial die Frage, ob die Phlebologie in die Angiologie einbezogen werden oder sich besser zu einem selbständigen Fach weiter entwickeln solle. Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus, so meinte Leu, wäre die Einbeziehung zwar zu begrüßen, aber mehrere praktische Gründe sprachen dagegen (5).

1.   Mit Ausnahme der tiefen Venenthrombose hat sich die Angiologie kaum um die Venenkrankheiten gekümmert. Es waren vielmehr die Dermatologen und die praktischen Ärzte, die sich seit je der Phlebologie angenommen haben.

2.  Wichtige Impulse erhielt - und erhält auch heute - die Phlebologie aus der Chirurgie, vor allem aus den unaufhörlichen Streitgesprächen zwischen Operation und konservativer Therapie bei der Krampfaderkrankheit und beim Ulcus cruris

3.   Bemerkenswert waren auch die Inspirationen aus der Röntgendiagnostik mit Optimierung der Phlebographie in den 70iger und 80iger Jahren. Aus den Erkenntnissen der Phlebographie ist unser heutiges Lehrgebäude entstanden (2, 3, 6).

4.   Besonders wichtig war die Feststellung, dass die Phlebologie nie als klinisches Fach galt, sondern immer in der täglichen Praxis erlernt und ausgeübt wurde.

5.   Und nicht weniger wichtig erscheint bis heute die Tatsache, dass die Abklärung der vielen unklaren Beinbeschwerden ohne Einbeziehung der Dermatologie, Rheumatologie, Neurologie, Orthopädie und anderer Disziplinen gar nicht möglich ist. Die Anforderungen an die Phlebologie gehen also über die Spezialität Angiologie in verschiedene Richtungen hinaus.

6.   Hieraus ergab sich für Leu die letzte Konsequenz: Die Ausbildung des Angiologen erfolgte an einem großen Klinikum, meistens an einer Universitätsklinik. Die Ausbildung des Phlebologen musste aber an einer ambulanten Institution erfolgen. Nirgends gab es seinerzeit jedoch an einer Poliklinik dafür die erforderlichen Kapazitäten, selbst nicht an den Hautkliniken. Einzelne Ausnahmen wie die Tübinger Hautklinik, die Hamburger Beinklinik oder die vorbildliche Institution von van der Molen in Holland bestätigen die Regel. Sicherlich, heute im Jahre 2007 hat sich manches geändert.

Auf die Fragen des Prof. Leu zur Phlebologie antwortete der Schweizer Internist A. Bollinger aus Sicht der Angiologie. Bollinger war an der Züricher Universität tätig, ebenfalls im Jahre 1974. Die Erfolge der Arterienchirurgie mit ihrer präzisen internistischen Vor- und Nachbehandlung sowie die umfangreiche Anwendung der Fibrinolyse berauschten die klinischen Angiologen, so dass überhaupt kein Interesse mehr für die Probleme der Phlebologie und noch weniger für die Lymphologie übrig blieb (1).

Entwicklung der Phlebologie in Deutschland
Der Beginn der Phlebologie ist schon auf das Ende des 19. Jahrhunderts zu datieren. Hier sind mit der Erfindung des Kompressionsverbandes zwei Namen zu nennen, Bertold Lasker (1860-1928) und Heinrich Fischer (1857-1925).

 
Lasker bezeichnete sich als Facharzt für Haut- und Beinleiden. Er begründete 1888 in Berlin das Institut für Beinleiden, den Verein der Spezialärzte für Beinleiden und die Zeitschrift Blätter für Beinheilkunde. Zu seinen Schülern gehörte in erster Linie Nathan Brann (1870-1949) (7).

 
Unabhängig wirkte zur selben Zeit Heinrich Fischer (1857-1928) in Wiesbaden. Er hatte sich dort ebenfalls 1888 als praktischer Arzt niedergelassen. Seine Tradition wurde in der Familie fortgesetzt, mit seinen beiden Söhnen Eduard und Karl-Wilhelm sowie seiner Enkeltochter Freya Haid-Fischer.

 
Bald bildeten sich überall in Deutschland phlebologische Praxen aus. Von den bekannten Phlebologen kann ich nur wenige nennen, Nobl, Krieg, Ellerbroek, Haid. Die Deutsche Gesellschaft für Phlebologie wurde erst im Jahre 1957 gegründet. Zu den ersten Mitgliedern der Gesellschaft gehörten vor allem niedergelassene Ärzte.

 
Trotz ihrer konsequenten Ausrichtung auf die Praxis verfügte die Phlebologie in Deutschland über ein wichtiges Standbein innerhalb der universitären Medizin, und das war traditionsgemäß die Hautklinik Tübingen. Dort hatten Paul Linser (1871-1963) und sein Assistenzarzt Karl Linser (1895-1976) die Grundlagen für die Sklerosierungstherapie erarbeitet. In Tübingen konnte sich die phlebologische Tradition erhalten (8). Wilhelm Schneider und Herbert Fischer nahmen fortan auch die meisten offiziellen Funktionen in der Phlebologie wahr.

 
Die Arbeit an der Basis aber leisteten die niedergelassen Phlebologen. Vor und nach dem Zweiten Weltkrieg hatten sich bestimmte Schulen entwickelt, in Hamburg bei Ellerbroeck, in Aachen bei Wesener, in Basel bei Sigg, im Elsaß bei Stemmer, später in Essen bei Klüken und viele andere mehr. Ihre Aufgabe bestand darin, den unendlich vielen Patienten mit chronischer venöser Insuffizienz zu helfen. Diese Arbeit hatte keineswegs einen hohen Beliebtheitsgrad unter den Ärzten, ganz und gar nicht aber unter den Universitätsprofessoren, egal welcher Fakultät.

 
Entwicklung der arteriellen Gefäßchirurgie und der Angiologie
Seit 1960 nahm die Gefäßchirurgie einen rasanten Aufschwung, anfangs an den Universitäten wie besonders Heidelberg und Erlangen, dann aber in einer schnellen Verbreitung überall in unserem Land. Als ich selbst 1969 von meiner Facharzt-Ausbildung in der Inneren Medizin und in der Radiologie an der Frankfurter Universität in die Gefäßchirurgie zurückkehrte, mussten die meisten Gefäßchirurgen ihre Patienten noch selbst angiographieren, vorbehandeln und nachbetreuen. Das war aber bald in einer Hand nicht mehr zu bewältigen.

 
Bei meinen Überlegungen zur Berufsordnung der Ärzte in Deutschland setzte ich darauf, dem Gefäßchirurgen in den Schwerpunktkliniken einen Angiologen in wissenschaftlicher und praktischer Hinsicht zur Seite zu stellen. Es galt, ein großes, noch weitgehend unbekanntes Gebiet der Medizin zu erforschen. Hinsichtlich der nicht-chirurgischen Behandlungsverfahren spielten die Hämostaseologie und die Stoffwechselkrankheiten eine zunehmende Rolle. Aber alles blieb letztendlich in einem überschaubaren Rahmen.

 
Die Versorgung der chronischen venösen Insuffizienz in der Bevölkerung
Unvergleichlich größere Dimensionen nahm die chronische venöse Insuffizienz in Anspruch. Besonders in dörflichen Gemeinden war der Prozentsatz von Patienten mit venösen Beinleiden in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts außerordentlich hoch. Hier kam es darauf an, den Hausarzt in die fachgerechte Behandlung einzubeziehen, egal, ob er aus der Allgemeinmedizin, der Orthopädie oder der Dermatologie kam. Natürlich musste auch die Phlebologie ihre Forschungen betreiben, und dafür, meinte ich damals und meine es auch heute noch, war sie bei ihrer Mutter, der Dermatologie, gut aufgehoben.

 
Entscheidungen der Bundesärztekammer zur Berufsordnung
Im Jahre 1992 beraumte das Bundesgesundheitsamt in Köln eine Sitzung an, um über eine neue Berufsordnung der Gefäßmedizin zu beraten. Bisher war nur die Gefäßchirurgie als Teilgebiet der Chirurgie etabliert. An dem riesigen Verhandlungstisch saßen die hochrangigen Vertreter der einzelnen Fachgesellschaften, insgesamt vielleicht 40 Honoritäten, herum. Bestimmte Teilnehmer erhielten das Wort für mehr oder weniger 5 Minuten, um die Situation jeweils aus der Sicht ihres Fachgebietes darzustellen. Mir gewährte man eine Redezeit von 20 Minuten, wahrscheinlich in meiner Funktion als Präsident der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie und Direktor der damals größten angiologischen Klinik in der Bundesrepublik. Um es auf den Punkt zu bringen, jeder Fachvertreter wollte sowohl die Angiologie als auch die Phlebologie seinem eigenen Gebiet einverleiben. So ist es ja üblich, wenn es etwas umsonst gibt. Ich saß neben Herrn Schultz-Ehrenburg als Vertreter der Dermatologie.

 
Meine Darstellung des Problems leitete sich aus der Geschichte und aus den Bedürfnissen für die Praxis ab, d.h. Angiologie als Teilgebiet für die Innere Medizin und Phlebologie für Angehörige aller Fachrichtungen der Medizin, die sich die notwendigen speziellen Kenntnisse erwerben. Dieses Konzept wurde von der Gesundheitsbehörde für sinnvoll gehalten, und die Landesärztekammern erhielten bald die Empfehlung zur Umsetzung in das Berufsrecht. Die Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Phlebologie wurden auf dem Jahreskongress in Recklinghausen von Frau Prof. Zabel am 21. September 1994 informiert. Zu den ersten Ländern, die die Zusatzbezeichnung Phlebologie praktizierten, gehörten Bayern, Sachsen und Thüringen. Wir in Hessen folgten 1995 nach. Im Jahre 1996 war der Prozess in Deutschland abgeschlossen.


Literaturverzeichnis
1. Bollinger A. Zum Problem der Integration verschiedener Spezialzweige der Gefässkrankheiten. VASA 1974; 3: 488-9.

2. Hach W, Gruß JD, Hach-Wunderle V, Jünger M. VenenChirurgie. 2. Auflage. Schattauer. Stuttgart 2007

3. Hach W, Hach-Wunderle V. Die Phlebographie der Bein- und Beckenvenen. Schnetztor. Konstanz 1994

4. Hach-Wunderle V, Hach W, Zegelman M, Düx M. Sklerosierungstherapie der Krampfadern. Gefäßchirurgie 2003; 8:322-328

5. Leu HJ. Phlebologie am Scheideweg. VASA 1974; 3: 3-4

6. May R, Nißl R. Die Phlebographie der unteren Extremität. Thieme. Stuttgart 1973

7. Petter O, Holzegel K. Zur Geschichte der deutschen Phlebologie. Kopielski. Torgau

8. Schneider W, Fischer H. Die chronisch-venöse Insuffizienz. Enke. Stuttgart 1969




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